Die Geschichte des Deutschen Hofs in Schriesheim – Vom Brauhaus zum Wahrzeichen
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Die Geschichte des Deutschen Hofs in Schriesheim – Vom Brauhaus zum Wahrzeichen – Der Deutsche Hof in der Heidelberger Straße war weit mehr als ein Gasthaus – er war ein Stück Schriesheimer Identität.
Fast zwei Jahrhunderte lang prägte das Gebäude das Bild der Altstadt und war Treffpunkt für Generationen. Nach dem verheerenden Brand am 26. Oktober 2025, bei dem das historische Haus schwer beschädigt wurde und seither als einsturzgefährdet gilt, ist klar:
Mit ihm ist ein Kapitel Stadtgeschichte in Flammen aufgegangen.
Vom Brauhaus zur Biedermeier-Wirtschaft
Seine Wurzeln reichen zurück bis 1797: Bereits damals ist an dieser Stelle eine Gastwirtschaft belegt, die sich zeitweise zu einer kleinen Brauerei entwickelte. Das heutige Gebäude entstand 1838 im Stil der Biedermeierzeit – mit schlichter Putzfassade, klar gegliederten Fenstern und einem typischen Satteldach. Es lag an der damaligen Hauptstraße zwischen Heidelberg und Frankfurt und diente Reisenden als Raststätte. Im Obergeschoss befand sich ein großer Tanz- und Festsaal, der das Haus früh zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt machte.
Kino im Wirtshaus
Das erste Astoria-Kino wurde laut RNZ-Berichten bereits 1919 im Deutschen Hof eingerichtet – damit war es das älteste Kino Schriesheims.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die lokale Kinogeschichte neuen Schwung: Robert Sandel gründete Anfang der 1950er den Filmpalast an der Römerstraße (Eröffnung 1951) und pachtete später das neue Astoria in der Bismarckstraße
(neben der Sonnen-Apotheke, heute Lager Maler Fischer).
Seine Tochter Ursula N. Davis erinnert sich, dass ihr Vater zwar kein Büromensch, dafür aber ein leidenschaftlicher Unternehmer war – der die Filmvorführungen, Abrechnungen und sogar Akrobatenshows zu Weihnachten im Filmpalast organisierte.
Die ursprünglichen Astoria-Lichtspiele im Deutschen Hof bestanden bis mindestens Mitte der 1950er-Jahre, ehe sie endgültig von den neueren Häusern abgelöst wurden.
Vom Stadthaus zum Weingutshaus
Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte Wohnungsnot. Die Stadt Schriesheim kaufte das Gebäude 1920 und richtete im Obergeschoss sieben Wohnungen ein, während das Gasthaus im Erdgeschoss weitergeführt wurde. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging der Deutsche Hof in den Besitz des Weinguts Wehweck über. Ein genaues Kaufjahr ist öffentlich nicht belegt; der Übergang wird häufig in die Zeit zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren eingeordnet. Seither gehört das Traditionshaus zur Familie Wehweck, die über Generationen hinweg eng mit der Schriesheimer Wein- und Gastkultur verbunden ist.
Der Deutsche Hof als Kultort der 1960er-Jahre
In den 1960er-Jahren war der Deutsche Hof der Anlaufpunkt der „Schriesemer“.
Die damalige Wirtin Liesel Frey war legendär – herzlich, resolut und weit über die Stadtgrenzen bekannt.
Das Lokal war täglich voll: Die Kegelbahn war fast jeden Abend durch Kegelvereine belegt, die Hobbywinzer kamen regelmäßig auf ihren Absacker, und der SV Schriesheim nannte den Deutschen Hof sein Stammlokal.
Im großen Tanzsaal im Obergeschoss fanden regelmäßig Tanzveranstaltungen mit Live-Bands statt, während der KSV Schriesheim – damals mit einer Ringerstaffel der Extraklasse – hier seine Feiern und Versammlungen austrug.
Selbst die Metzgerei Urban soll hier ihren Anfang genommen haben.
Der Deutsche Hof war Kult – genauso wie der „Kaiser“ und die „Rose“ – und prägte das gesellschaftliche Leben in Schriesheim über Jahrzehnte.
(Zeitzeugenbericht, redaktionell zusammengefasst)
Die Ära Holzmann
Ab 1995 übernahm Marianne Holzmann gemeinsam mit ihrem Sohn Andreas den Deutschen Hof. Fast drei Jahrzehnte prägten sie den Charakter des Wirtshauses – mit Herz, Humor und Handschlagqualität. Legendär waren die „Hähnchen-Donnerstage“, an denen der Duft frisch gegrillter Gockel durch die Heidelberger Straße zog. Der Deutsche Hof blieb ein ehrliches Wirtshaus: bodenständig, mit ruhigem Ton, manchmal laut und immer herzlich.
Bis zuletzt wurde hier geraucht – zunächst im Gastraum, später im liebevoll eingerichteten Nebenzimmer. Nach dem Rückzug von Frau Holzmann 2024 blieb die Gaststätte geschlossen. Leben war dennoch im Haus: Andreas Holzmann und seine Partnerin bewohnten weiter die oberen Räume – bis zum Brand im Oktober 2025. Beide konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen.
Denkmal mit Seele – und die Nacht des Brandes
Der Deutsche Hof steht unter Denkmalschutz und gilt als typisches Beispiel für den Ausbau der Altstadt im 19. Jahrhundert. Seine schlichte, klassizistische Architektur dokumentiert die Zeit, als Schriesheim noch Etappenort an der Bergstraße war. Beim Brand am 26. Oktober 2025 wurde die historische Bausubstanz massiv in Mitleidenschaft gezogen. Weil sich die traditionellen Strohlehmdecken mit Löschwasser vollsogen, drohen Teile der Konstruktion einzustürzen; der Bereich ist abgesperrt, ein Statiker prüft derzeit die Standfestigkeit. Personen kamen nicht zu Schaden; der Sachschaden wird in ersten Schätzungen im hohen sechsstelligen Bereich (bis rund eine Million Euro) eingeordnet.
Mehr als nur ein Gebäude
Für viele war der Deutsche Hof früher ein Stück Zuhause. Hier fanden Stammtische, Vereinsfeiern und Familienfeste statt – oft begleitet von persönlicher Ansprache und einem offenen Ohr am Tresen. Mit dem Feuer ist ein weiteres Kapitel des alten Schriesheim verloren gegangen. Die Erinnerungen an dieses Haus, an seine Menschen und Geschichten, bleiben – und vielleicht lässt sich, wenn es die Statik erlaubt, zumindest die Fassade erhalten: als stilles Zeugnis dafür, dass Geschichte nicht nur in Büchern steht, sondern hinter einer Wirtshaustür in der Heidelberger Straße.
Eigentümer- und Betreiberchronik
| Zeitraum | Eigentum / Betreiber | Bemerkungen |
|---|---|---|
| 1797 – 1919 | Private Wirte (zeitweise mit kleiner Brauerei) | Erste Erwähnungen einer Gastwirtschaft an dieser Stelle |
| ab 1919 | Astoria-Lichtspiele | Erstes Kino Schriesheims im Deutschen Hof; ältestes bekanntes Filmhaus der Stadt |
| ca. 1950 – Ende 1960er | Robert Sandel | Gründer des Filmpalast (1951) an der Römerstraße und Pächter des neuen Astoria in der Bismarckstraße (neben Sonnen-Apotheke; heute Lager Maler Fischer) |
| 1920 – ca. 1970 | Stadt Schriesheim | Erwerb wegen Wohnungsnot; 7 Wohnungen im OG, Wirtschaft verpachtet |
| ab ca. 1970 | Weingut Wehweck | Eigentümer bis heute (genaues Jahr nicht öffentlich belegt) |
| 1995 – 2024 | Marianne Holzmann & Andreas Holzmann | Pächter / Wirte |
| 2024 – 2025 | — | Gaststätte geschlossen; bewohnt von Andreas Holzmann und Partnerin |
| 26.10.2025 | — | Großbrand; Gebäude schwer beschädigt, aktuell einsturzgefährdet |
Bilder nach dem Brand
Änderungsprotokoll
- 03.11.2025: Kinohistorie ergänzt (laut RNZ und Ursula N. Davis, Tochter von Robert Sandel); Astoria-Chronologie präzisiert.
- 31.10.2025: Zeitzeugenabschnitt (Liesel Frey / 1960er Jahre) hinzugefügt.
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Quellen / Hinweise
Stadtarchiv Schriesheim • Denkmalverzeichnis Baden-Württemberg •
Regionale Presseberichte (RNZ, Mannheimer Morgen) •
Zeitzeugenhinweise (u. a. Liesel Frey, Schriesheim 1960er Jahre; Rauchpraxis bis zur Schließung; Wohnnutzung durch Andreas Holzmann und Partnerin) •
Persönliche Mitteilung: Ursula N. Davis (Tochter von Robert Sandel) •
Eigene Recherchen.


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